Warum Legal Tech in Kanzleien so schwer zu organisieren ist…

Legal Tech als Herausforderung der Führung in Kanzleien:
Wie sich die Führung in Kanzleien in innovativen Kanzleien anpassen muss, wenn es funktionieren soll

(anläßlich der Veranstaltung der Advotools GmbH am 28.4.2022 in Hannover)

Kanzleien sind Organisationen. Organisationen gehorchen nach Regeln und Mustern, die nicht einfach zu beherrschen ist. Meist sind sie entsprechend dem Geschäftsmodell ausgerichtet. Bei Anwaltskanzleien sind es die Partner, die einzelne Mandate von Mandanten akquirieren und dann diese abarbeiten (lassen). Der Fokus auf einzelne Mandate beherrscht das System Anwaltskanzlei. Zwar wenden sie Partner den ganzen Tag über „Standards“ im Sinne von Gesetzen an, und haben „Standards“, wie diese auf den einzelnen Fall anzuwenden sind, und dennoch halten sie jeden Fall für einzigartig (was hinsichtlich dem Sachverhalt schon allein deshalb nur eingeschränkt gilt, weil die Fallgestaltung schon allein deshalb häufig vorkommen muss, weil es sonst keinen Regelungsbedarf für ein Gesetz gäbe ).

Legal Tech zeigt nun (wie schon auch Qualitätsmanagement Ende der neunziger Jahre), dass viele Prozesse in Anwaltskanzleien automatisierbar sind, ohne die juristische Kernaufgabe, nämlich Sachverhaltsklärung, juristische Bewertung und Projektorganisation zu beschädigen. Im Bereich der Kanzleiorganisation gelingt dies meist schon seit Anfang der 80er Jahre mit Hilfe von  Kanzleisoftware (Kanzleimanagementsystem KMS), auch Legal Tech im weiteren Sinne.

Doch das Potenzial für Standardisierungen im Bereich der Mandatsanbahnung oder Mandatsbearbeitung (Legal Tech im engeren Sinne) wird selten ausgeschöpft, viele Legal Tech Initiativen versanden in Kanzleien. Was macht die Kanzleiführung hier falsch? Gibt es hier Patentrezepte?

3 Elemente sind zu betrachten:

1.       Führung als zentraler Enabler

2.       Legal Tech als Standardisierungsherausforderung

3.       Struktur

Kanzleien sind als Partnerschaften führungsavers. Der organisatorische Archetypus „Professional Partnership“ (P2) beruht auf Konsens, nicht auf Managementprozessen. Der Fokus der Partner ist es, sich selbst mit ausreichend Mandanten zu versorgen, um den von der Kanzlei verlangten Business Case zu stemmen. Kanzleien sind per se daher in vielen unterschiedlichen Geschäftsfeldern aktiv. Sie gleichen eher eine Holdingstruktur mit vielen Geschäftseinheiten, und die Herausforderungen in diesen ist immer die Frage, wo die Ressourcen angesiedelt werden: in der Zentrale (dann meist auch Lockstep-ähnliche Vergütungssysteme) oder in den Geschäftseinheiten (dann meist Merritt-based Vergütungssysteme). Die Kanzleien sind somit strukturell in einem dauernden Clinch: nämlich wer entscheidet, welche Mandate angenommen werden und welche nicht, und wer entscheidet über die Mandatsbearbeitung und die Ressourcen dafür.

Größere Kanzleien haben dann in den Praxisgruppen zum Teil ausreichend große Einheiten, die ähnliches Geschäft bearbeiten, auch wenn jeder Partner meist leicht unterschiedliche Schwerpunkte haben. Damit sind die Bearbeitungsprozesse nur eingeschränkt standardisierbar, es sei denn, mehrere Partner finden sich zusammen.

Hinzu kommt: Führung in Partnerschaft hat nur wenig mit Management zu tun. Denn das Management wird, soweit es überhaupt eines gibt, ja gewählt; es sind somit politische Entscheidungsorgane, die zwischen Interessen der Wählenden zu entscheiden haben („Wer hat welche Interessen? Wie sorgen wir dafür, dass alle zufrieden sind /und wir wieder gewählt werden?“), nicht so sehr Manager, die aus dem Gesichtspunkt der Gesamtkanzlei entscheiden („Was bringt den höchsten Deckungsbeitrag, wie können wir das am effizientesten organisieren?“).

Nur größere Kanzleien mit mehr als 20 Partner haben überhaupt ein gewähltes Management, und evtl. auch eine Business Service Organisation, die wichtige Unternehmensfunktionen wie Finanzen, Marketing etc. übernimmt. Aber diese hängt in ihrer Wirksamkeit sehr von der Stärke der Führung ab, und hat keinen eigenständigen Auftrag auf „Optimierung“, insbesondere dann, wenn einzelne Partner betroffen sind. Business Services sind daher meist eher interne Dienstleister, so auch die Funktion des Legal Tech Officer, wenn es ihn denn gibt.

Wollen einzelne Partner Prozesse optimieren, so geht das eben daher meist auch nur in ihrem Bereich. Die Investition lohnt daher aber meist nicht, da nicht genug Fälle zusammenkommen, für die die Standardisierung reicht.

In kleineren Kanzleien ist die „Führung“ her ein gruppendynamischer Selbststeuerungsprozess, in dem laufend verhandelt wird, und wo dauernd gefragt wird, welche Unterscheide intern gemacht werden dürfen. Die Einführung von Legal Tech Instrumenten ausserhalb des KMS kann da schon kritisch betrachtet werden, da sie Zeit und Geld brauchen.

Daher fokussieren daher die Kanzleien meist auf übergeordnete Prozesse, wie Buchhaltung, Mandatsanlage, Geldwäsche etc. alles Prozesse, die wichtig sind, aber das Optimierungspotential liegt eher in den organisatorischen Fragen. Ein ordentliches Kanzleimanagementsystem sorgt dafür, dass die unternehmerischen Grundfunktionen ordentlich bearbeitet werden, also die Mandatsanlage und Abrechnung, der Postein- und Ausgang, die Fristenkontrolle. Auch hier gibt es große Unterschiede der Anbieter, und für Wirtschaftskanzleien in Deutschland überhaupt nur zwei Anbieter, die gut genug sind, die Anforderungen wirtschaftsberatender Anwälte abzudecken.

Wenn es um die Kompetenz im Umgang mit Software geht, so ist der Fokus auf Outlook, Word und Excel als wichtigste Werkzeuge gemäß dem 80/20 Prinzip wahrscheinlich sinnvoller als die Fokussierung auf KI Tools, die zwar fancy scheinen, aber de facto weder einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil für die Kanzlei bringen noch wirklich die Leistung für den Mandanten nachhaltig optimieren.

Wenn es gar darum gehen sollte, wirkliche „Innovationen“ im Sinne von eigenständigen Produkten gehen soll, dann muss die Partnerschaft resp. die sie repräsentierende Organe dafür sorgen, dass diese einen geschützten Raum haben: denn sie sind de facto Start Up, die also eine eigene Organisation, Finanzen und Führung haben, die dafür sorgt, dass die Applikationen sich im Markt durchsetzen kann. Anderenfalls sind sie nichts weiter als „Störer“, die der bestehenden Organisation jeden Tag vorführen, dass es „anders“, „billiger“ und evtl. sogar „besser“ geht; und dann scheitern sie weniger an der technischen Fähigkeit als an der internen Gruppendynamik, die diesen Störer abstößt.  Die Finanzierung dieses Startups muss dann aber schnell eigenständig und von der Kanzlei gelöst werden: denn die Partner werden diese Finanzierung nur auf Dauer zu leisten bereit sein, wenn sie wie normale Investoren eine Rendite erwarten können. Gerade hier wird es aber schwierig: denn, wenn die „Innovation“ das Potential hat, Teil ihres Marktes zu verändern, werden sie diese Art von Investition immer vermeiden.

Was macht Law Firm Change Consultants? Wir helfen Kanzleien, sich weiter zu entwickeln… strategisch, organisatorisch und kulturell. Dabei fokussieren wir auf die mentalen Modelle, die Partnerschaften nutzen, anstelle auf operative Einzelfragen; denn wenn die gemeinsame Überzeugung sich ändert, ändern sich alle nachfolgenden Themen mit ihnen. Inhaltlich beraten wir zu Themen wie Strategie, Management, Gewinnverteilung, sowie Unternehmensfunktionen wie Wirtschaftlichkeit, HR und BD.



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