- 16. Februar 2022
- Veröffentlicht durch: Christoph H. Vaagt
- Kategorien: Großkanzleien, Patentanwaltskanzleien, Unkategorisiert
Das Thema Purpose resp. ESG (Environmental, Social, Governance), allgemeiner auch als CSR (Corporate Social Responsibility) bezeichnet, ist in aller Munde, auch bei Wirtschaftsanwälten. Auch eine Tagung in Zürich der Universität St. Gallen gibt es für Wirtschaftskanzleien dazu (Mai 2022). Doch fragen sich viele Anwälte, was das eigentlich bedeutet, und welche Relevanz es für ihr Kanzleimanagement und ihre Wirtschaftskanzlei hat. ESG steht für die Bereiche Umwelt (Environment), gesellschaftliche Aspekte (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Anhand der unterschiedlichen Kriterien aus diesen drei Bereichen kann die Nachhaltigkeit, z.B. eines Unternehmens, bewertet werden. Diese wurden von der UN 2006 vor allem für Investitionsstrategien von Ivo Knoepfel, einem Schweizer Finanzmarktexperten, entwickelt. Für Unternehmen wie auch Wirtschaftskanzleien hat dies zunehmend Bedeutung, weil nicht nur Investoren, sondern vor allem auch die junge Generation nachfragt, wie es mit der Nachhaltigkeit der Tätigkeit eines Unternehmens oder Kanzlei aussieht. Der Widerspruch zwischen der bisherigen Tätigkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz wird als kritisch empfunden. Und da die junge Generation demographisch am längeren (Rekrutierungs-)Hebel sitzt, ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen.
Die Nachhaltigkeit der Tätigkeit einer Wirtschaftskanzlei in jedem der Bereiche hat unterschiedliche Ausprägungen für das Kanzleimanagement und ist (noch) nicht final definiert. Dennoch ist die Beschäftigung damit ein Muss in der Aussendarstellung, und im internen Tun. Denn es betrifft viele Bereiche, auch im operativen Kanzleimanagement . Bisher beschäftigen sich die Wirtschaftskanzleien vor allem damit, ihre Mandanten in dieser Hinsicht zu beraten[1]. Die Anwälte haben nur zu einem sehr kleinen Teil verstanden, dass ihr Kanzleimanagement selbst Gegenstand von ESG relevanten Überlegungen sind. So wird etwa die Tätigkeit von Gibson Dunn, einer großen US-Kanzlei, auf Seiten von Ölfirmen als kritisch angesehen, die ohne Rücksicht deren Interessen durchsetzt, und etwa im Falle des US-amerikanischen Umweltrechts-Anwalts Steven Donziger auch über ethische Grundsätze hinwegsetzt(2).
Offensichtliche Probleme im Bereich Governance sind bei fast allen Wirtschaftskanzleien hinsichtlich der Bezahlung und Promotion von Anwältinnen zu Equity Partnerinnen vorhanden; die Quote an Partnerinnen beträgt in der Regel kaum 15 %. Diversität ist ein erfolgskritischer Faktor, wenn man zBsp. von US-amerikanischen Unternehmen mandatiert werden möchte. Sexuelle Belästigung von Mitarbeitern hat zwei männlichen Partnern die Partnerstellung (und einen die Freiheit) gekostet, nachdem es bei einem Oktoberfestbesuch im Jahre 2014 zu Überschreitungen gegenüber einer Mitarbeiterin kam[3]. Jahrelang wurde das Thema ignoriert, doch das geht mit wachsender Sensibilisierung nicht mehr.
Im Bereich der Rekrutierung und der Bindung von jungen Mitarbeitern ist es ganz besonders wichtig, mehr als nur „Geld gegen Leben“ bieten zu können.
Dabei ist insbesondere das Thema „Purpose“ als Teil dieser Diskussion interessant, weil es nicht nur Vorteile hinsichtlich der Personalarbeit hat, sondern auch strategische Fokussierungen erlaubt, die sonst schwieriger sind. Denn traditionell wurde „Purpose“ ja als durch die Definition der Aufgaben des Anwalts hingenommen und auf die Kanzlei übertragen: nämlich so, wie sie in BRAO und BORA definiert wurden. Insbesondere relevant sind § 1, (II) S. 2. und (III) der BORA:
§ 1, Abs. II, S. 2: Seine Tätigkeit dient der Verwirklichung des Rechtsstaats.
§ 1, Abs. III: Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten hat der Rechtsanwalt seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern. Aber im Kern geht es darum, dass auch eine Anwaltskanzlei einen darüberhinausgehenden „Purpose“ hat, der die Tätigkeit des Anwaltes im Kern unterstützt und die Kanzlei ausrichtet.
Heute wird die Beachtung von ESG als nicht-staatliches, aber dennoch gesellschaftlich relevante vorrechtliche Grenzziehung/soft Law auch für die Tätigkeit des Kanzleimanagements von Kanzleien zu berücksichtigen sein. Das muss nicht von Nachteil sein, im Gegenteil kann man es als Vorteil ansehen. Neben den og. Personalfragen ist vor allem die Ausrichtung der Kanzlei auf strategische Ziele möglich, die vorher schwierig war: denn nachhaltige Tätigkeit im wettbewerbsintensiven Markt der Wirtschaftskanzleien setzt voraus, dass man nicht nur ein ordentlicher Anwalt ist, der die Grundsätze seines Berufes beherrscht, sondern sich durch klare Fokussierung absetzt. Das betrifft nicht die fachlichen Schwerpunkte in Fachanwaltschaften, Tätigkeitsgebieten etc., denn auch die werden im Wirtschaftsrecht von Mandanten als selbstverständlich gegeben angesehen. Sondern es geht um Zielgruppenfoki und Serviceverständnis. So ist etwa die Formulierung einer Wirtschaftskanzlei „Finanzinvestitionen dabei zu unterstützen, weltweit nachhaltige Produkte anbieten zu können“, genauso ein valide „Purpose-Beschreibung“ wie jene, die „Verbraucher vor der Übervorteilung durch große Anbieter an Standarddienstleistungen (zu) schützen“[4] möchte. Dabei geht es auch darum, gesellschaftliche Themen wie „Access to Justice“ zu ermöglichen (hier sind etwa Legal Service Provider im Vorteil), sondern auch zielgruppenadäquate Dienstleistungen zu erbringen, die sich auch durch Standardisierung schneller, billiger und besser anbieten (was ein anderer Wettbewerbsvorteil ist). Dies geht aber wiederum nur, wenn die Partner sich einig sind, auf welche Märkte resp. Zielgruppen sie sich fokussieren wollen und wie sie ihre Dienstleistung anbieten wollen. Und dieser Prozess der Diskussion ist es, der den Wert der Beschäftigung mit dem Thema Prupose ausmacht, an dessen Ende ein (sinnvoller, von aussen nachvollziehbarer, attraktiver) “purpose” stehen sollte.
Die Arbeit am „Purpose“ kann Wirtschaftskanzleien hier helfen; das ist bei Neugründungen natürlich leichter als bei Bestandskanzleien, in denen Partner sehr unterschiedlicher Herkunft und Interessenslage arbeiten; aber auch dort kann es zu jenem berühmten Ruck führen, die auf einmal wieder Freude und Ehrgeiz in einer Partnerschaft erweckt, die vielleicht eher vor sich hinarbeitete. Und sie kann vor allem auch einen Wettbewerbsvorteil am Rekrutierungsmarkt darstellen, in einem Gehaltskrieg, den nur wenige gewinnen können.
[1] (etwa: CSR-Anforderungen in der anwaltlichen Beratungspraxis, Rechtsanwalt Dr. Thomas Voland, LL.M., Düsseldorf, In AnwBl 2021, 235-237, https://www.anwaltsblatt-datenbank.de/bsab/document/jzs-AnwBlOnline202107_005 mwN.).
[2] (https://theintercept.com/2021/04/07/chevron-steven-donziger-law-gibson-dunn-boycott/).
3] https://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/lg-muenchen-19kls451js115945-15-oktoberfest-feier-linklaters-vergewaltigung-freiheitsstrafe/
[4] (so etwa: Gansel Rechtsanwälte ist eine der führenden Verbraucherschutzkanzleien in Deutschland. Seit über 15 Jahren setzen wir uns erfolgreich für diejenigen ein, die von Unternehmen und anderen Institutionen um ihr Recht gebracht wurden., unter https://www.gansel-rechtsanwaelte.de/?utm_source=google&utm_medium=cpc&utm_campaign=1643794002&gclid=Cj0KCQiAu62QBhC7ARIsALXijXS4x1i4Gc4puXpKGoEXHo5ezmsK_fPUykEbMZfHFdsQ2FGbhEksbsUaAuBOEALw_wcB am 15.2.2022 abgerufen