Warum die Abrechnung auf Basis von  RVG nicht ausreichend proftabel ist!

“Sich selbstausbeuterisch mit großem Aufwand der Bearbeitung von Mandaten widmen, die nicht kostendeckend sind“…, ist nicht mehr interessant. (Dr. Thomas Gutknecht, Präsident Rechtsanwaltskammer Köln, in AnwBlatt (3/23, S. 161 f)

Immer mehr Anwälte merken, dass mit der Abrechnung auf Basis von RVG kein Geld mehr zu verdienen ist. Die Gründe sind

–          Der Markt ist seit über 10 Jahren zunehmend in Wirtschaftskanzleien und solche Kanzleien gespalten, die aufgrund ihrer Privat-Mandantschaft primär nach RVG abrechnen

–          Die Anpassungen des RVG kommen zu spät und sind zu niedrig

–          Der Aufwand für RVG Mandate hat zugenommen

–          Die Bearbeitung ist nicht mehr nur nicht kostendeckend;  es ist in vielen Mandanten sogar ein Negativ-Verdienst zu verzeichnen

–          Eine angemessene Vergütung des Anwaltes als Akademiker mit mind. 7 Jahren berufsausbildung sollte ihr/ihm einen angemessenen Verdienst ermöglichen; das ist mit RVG-Mandanten nicht mehr der Fall.

–          Die Bereitschaft der Anwaltschaft, auch solche Mandate anzunehmen, die nicht mehr kostendeckend sind, hat eine Grenze

–          Der Nachwuchs bleibt aus, da diese Abrechnung keine ausreichend wirtschaftliche Perspektive mehr bietet

–          Vele Anwälte verdienen an RVG Mandaten kaum noch Geld; viele von ihnen wissen es ncht einmal, da sie nicht rechnen und die Softwareabieter kein Controlling anbieten

Unsere Beratungen in diesem Umfeld nehmen zu, weil selbst lokal marktführende Kanzleien ihren Nachwuchs verlieren resp. nicht mehr rekrutiern können.

In diesem Artikel zeigen wir, was zu tun ist.

Dr. Thomas Gutknecht, Präsident der Rechtsanwaltskammer Köln, hat es im AnwBlatt (3/23, S. 161 f) klar beschrieben:  “Sich selbstausbeuterisch mit großem Aufwand der Bearbeitung von Mandaten widmen, die nicht kostendeckend sind“, ist nicht mehr interessant. Er meint den anwaltlichen Nachwuchs, der fehlen wird, aber unsere Beobachtung ist: das gilt auch für heute tätige Anwälte. Wir erhalten immer mehr Anfragen gerade aus gemischten größeren Praxen, oftmals Marktführer lokal, aufgrund dieses Dilemmas.

In der Diskussion (Institut für Anwaltsrecht an der Universität Köln, Symposion „Gegenwart und Zukunft der anwaltlichen Vergütung“ vom 24.11.2022) gab es Befürworter und Kritiker des RVG. Was gänzlich fehlte, waren Zahlen. Das fehlende Verständnis für Zahlen ist aber entscheidend, um beurteilen zu können, wie die Kanzleien heute und morgen wirtschaftlich funktionieren können.

Demnach ist nicht von den Kosten her zu argumentieren (wie hier gerne unternommen: kostenneutral sei ja schon was…), sondern vom Ergebnis her: wann ist es wirtschaftlich interessant, eine selbständige Tätigkeit mit einem idR. 10 Stunden-Tag auszuüben, wenn für wesentlich weniger (8 h, Sabbatical, Urlaub mit Gehaltsfortzahlung, 13. Monatsgehalt, Zuschuss zur KV, keine AV, keine Rentenzahlungen, aber Rentenabsicherung auf letztem Gehaltsniveau) in einer Behörde mit Anfangs A 13, d.h. ca. 75.000 EURO Gehalt zzgl. Beamtenabsicherung, oder als Angestellter mit 6.000 EURO AN-Brutto (inkl. inkl. Sozialversicherung)  gearbeitet werden kann? Beides entspricht  einem Gewinnnetto-Äquivalent von 100.000 -120.000 EURO Gewinn, welches so gut wie keine mittelständische Kanzlei ihrem Nachwuchs bei Eintritt in die Partnerschaft anbietet. Nur Großkanzleien gehen wesentlich darüber hinaus, notgedrungen.

Die Arbeitsprozesse in RVG-basierten Kanzleien oder Dezernaten sind mindestens so arbeitsintensiv wie in Großkanzleien, mit nicht seltenen Wochenendschichten für die dickeren Akten.  Der ökonomische Druck in diesen Kanzleien ist enorm: der geringe Standardisierungsgrad in Anwaltskanzleien trotz Qualitätsmanagement tut etwas dazu. Die wenigen Versuche, in diesem Marktsegment durch Legal Tech Lösungen Abhilfe zu schaffen (etwa. Verkehrsrecht: ….), sind auch nur Tropfen auf den heißen Stein, da zu wenig Organisationswissen und betriebswirtschaftliches Vorverständnis bei den Anwälten vorhanden ist. Die Kammern und der DAV vernachlässigen diesen Bereich seit Jahren, obwohl aus Beraterpraxis die Situation schon seit über 20 Jahren bekannt ist (10 % Erhöhung des RVG nach 10 Jahren sind eben auch nur 1 % p.a.!). Die meisten Softwareanbieter vernachlässigen diesen Bereich ebenso; so gibt es nur eine Software; bei der der realisierte Stundensatz mit zunehmender Verfahrensdauer (und Zeiterfassung vorausgesetzt) laufend berechnet wird (und aufgrund der Pauschalabrechnungssystem des RVG natürlich abnimmt mit zunehmenden Zeitablauf). Kaum eine Software bietet ein notwendiges und angemessenes Controlling der Kennzahlen an, mit der eine Kanzlei zu steuern wäre.

Die Kostenseite wird ebenso verkannt: so ist der zu erziehende Mindeststundensatz ja nicht nur von den Kosten der Kanzlei, sondern auch vom notwendigen Zielgewinn abhängig, um eine attraktive Tätigkeit auszuüben.

Ein Zielgewinn für einen ausgebildeten Anwalt (mind. 5 Jahre) unter 150.000 EURO ist nicht darstellbar, weil dieser in jeder anderen Beschäftigungsform oder Organisation mit dem 35. Jahr mehr verdienen würde. Kanzleien verlieren derzeit ausgebildete Anwälte, weil der Einstieg in die Partnerschaft nicht mehr attraktiv ist, und gehen lieber in Behörden, zu Unternehmen oder zu Großkanzleien in die Großstadt. Die jahrelang vernachlässigte Strategiearbeit in Kanzleien in Verbindung mit fehlendem wirtschaftlichen Kalkül rächt sich jetzt.

Basierend auf 1200 Produktivstunden (die sich immer wieder als ein angemessener Anhaltspunkt ergeben, aber auch durchaus darüber liegen können, idR. bis 1400 h/Jahr),  und Kosten von typischerweise mind. 100.000 EURO pro Berufsträger in einer Kanzlei liegt dieser Mindeststundensatz bei 210 EURO/h. Darunter sollte man als Anwalt kein Mandat annehmen, um einen ausreichenden Gewinn zu realisieren. In RVG-Mandate werden aber typischerweise meist nicht über 150 €/h realisiert, gegenüber 250 € in nach Stunden abgerechneten Mandaten (Durchschnittswerte mittelständische Kanzleien mit gemischt abrechnenden Praxen, und Unternehmens- wie Privatmandanten, zT. mit Vollzeitmitschrift, siehe Bild). Die Diskrepanz liegt bei 50.000 EURO Mehrgewinn (nach Steuern immerhin 27.500 € Nettogewinn).  Die wenigen Ausnahmen wie im Arbeitsrecht bei Kündigungsschutzklagen belegen die Regeln, widerlegen sie nicht.

Daher kommt auf viele Kanzleien ein Nachwuchsmangel nicht nur aufgrund der Demographie, sondern einfach der fehlenden wirtschaftlichen Attraktivität zu (bei den ReFas hat sich lange herumgesprochen, dass in Anwaltskanzleien lange gearbeitet und schlecht bezahlt wird, daher fehlen diese Kräfte fast überall).

Das RVG ist de facto nichts weiter als eine billige Beschaffungsmaßnahme des Staates, der sich den Rechtsfrieden im Lande möglichst billig einkaufen möchte. Und die Anwälte machen hier mit, weil sie nicht rechnen (und meist auch ethisch motiviert sind, was durchaus höher zu honorieren wäre).

Die Anwaltschaft muss anfangen, zu rechnen, In fast jeder Kanzlei ist eine Verdoppelung des Gewinnes (sic!) rechnerisch einfach möglich, wenn sich die Partner nur einmal der Organisation der Wertschöpfungskette widmen würden (vulgo: von der Honorarverhandlung über die Zeiterfassung bis zum Zahlungseingang). So ist es für uns Kanzleiberater eine Dauerbeschäftigung.



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