Warum viele Anwälte ihr Umsatz-Potenzial nicht realisieren

In vielen Kanzleien heißt es immer: wir müssen mehr Umsatz machen. Doch wenn wir uns eine durchschnittliche Kanzlei mit 15 Mio € Umsatz im Jahr anschauen, sowie die nicht realisierten Gewinne (siehe Bild), wird folgendes klar: der Wertschöpfungsprozess kann optimiert viel mehr an Gewinn ergeben, ohne dass die Anwälte mehr arbeiten müssten. Sie müssten nur den Wertschöpfungsprozess besser managen.

An jeder Stelle des Prozesses wird sehr viel Geld liegen gelassen; dabei handelt es sich immer und ausschließlich um Gewinne. Die Kostenquote als Relation zwischen realisiertem Umsatz und Kosten in Kanzleien ist daher entsprechend hoch (< 55 %), könnte aber bei unter 30 % liegen.

Wo sind nun die Umsatz (=Gewinn)-Potenziale in Kanzleien versteckt?

Der erste Schritt ist die Verhandlung des Honorars durch Anwälte. Während es bei neuen Mandanten oft gelingt, ein Honorar, meist Stundenhonorar, zu verlangen, welches auskömmliche Stundensätze vorsieht, werden alte Mandatsbeziehungen oftmals nicht angepasst. Dabei wundern sich selbst die Mandanten, wieso Kanzleien jahrelang, manchmal jahrzehntelang den Stundensatz nicht anpassen. Aber auch neue Mandanten werden oftmals zu niedrigen Stundensätze kontrahiert, sei es mangels Mutes, die angemessenen Stundensätze zu verlangen, sei es aus Angst vor Ablehnung; dabei wird gerne vergessen, dass ein Rabatt von 10 % dazu führt, 25 Mehrstunden zu leisten, um denselben Gewinn herauszuwirtschaften.

Dabei gelten die folgenden Stundensätze als im Markt akzeptabel (Stand 2023):

1.       Im Top-Segment anwaltlicher Beratung: Partner 550 EURO, Associates 380 €

2.       Im Mittelstandssegment: Partner 390 €; Associates 320 €

3.       Im Privatmandantensegment: Partner 280 €, Associates 250 €.

Abweichungen nach oben von 20 % sind dem Autor aus Beratungen bekannt, allerdings auch nach unten.

Aber auch neuen Mandanten geringere Stundensätze anzubieten als eigentlich in der Sozietät vereinbart, oder Rabatte zu gewähren, die Einkaufsabteilungen oder geschäftsführende Inhaber von Unternehmen gerne verlangen, sind typische Stellen, wo auf Gewinn verzichtet wird. Die eigene Verhandlungsmacht wird oftmals unterschätzt. Preisverhandlungen durchzuführen zu lernen, oder sich im Prozess durch Pricing-Manager begleiten zu lassen, ist eher die Ausnahme.

RVG-Abrechnungen sind hingegen fast immer unwirtschaftlich: im Schnitt liegt der realisierte Stundensatz bei RVG-Abrechnungen nur bei ca. 150 EURO, und dass bei Kosten pro Stunde von 100 bis 140 € bei den entsprechenden Kanzleien. Die wenigen Ausnahmen (einfache Kündigungsschutzklagen, einige forensische Tätigkeiten) bestätigen die Regel. Ein Prozess um einen Schadensersatz im Bau von 1 Mio € kostet, wenn auf Stundensatzbasis abgerechnet wird, ca. 150.000 € (Erfahrungswert eines Baurechtlers); RVG gibt aber nur 19.498,57 € (1. Instanz) her.

Die Verabredung von Abrechnung auf Basis des RVG sollte daher nur auf ganz wenige Ausnahmen beschränkt sein, und im Zweifel durch eine Ergänzung der Realisierung eines Mindeststundensatzes oder ggfls. höheren Gegenstandswertes abgesichert werden.

Der zweite Schritt ist die Auslastung der Mitarbeiter: den in vielen Kanzleianalysen eruierten Zahlen nach zu urteilen sind in vielen Kanzleien 4,5 h/Tag und Anwalt/Vollzeit ausreichend, in Patentanwaltskanzleien auch weniger. Dabei sind diese bei Vollzeit aber meist 10 Stunden in der Kanzlei oder für sie tätig. Hier gibt es sehr unterschiedliche Standards, aber oftmals wird nicht genug dafür getan, dass die Associates effizient Mandatsbearbeitung erledigen können. Hier fehlt es oft nicht nur an Mandaten, sondern auch an schnellem Feedback, Arbeitsmittel und Ressourcenzugriff (Sekretariat) oder Ausbildung (intern). Allzu gerne behalten die Partner die inhaltlich spannenden und gut bezahlten Mandate auch bei sich und geben weniger werthaltigere Mandate weiter, um den Associates dann ihre geringen Umsätze vorzuwerfen.

Der Prozess der Zeiterfassung und Bewertung der gearbeiteten Zeiten ist unserem Eindruck nach weitgehend vernachlässigt, obwohl er zentral für die Wirtschaftlichkeit ist. Sowohl Partner als auch Associates erfassen Zeiten häufig im Nachhinein, und kommen damit nur auf 4-5 Stunden abrechenbare Arbeit, trotz  der zehn und mehr Stunden Anwesenheit. Gerade dieser Bereich wird Associates häufig ganz überlassen, obwohl sie gerade in diesem Bereich (im Gegensatz zur juristischen Bearbeitung) keinerlei Vorkenntnisse haben. Richtlinien zur Erfassung und Bewertung der Tätigkeit finden sich selten, und wenn, sind sie sehr generell gehalten. Anwälte tendieren dabei dazu, sich sehr selbstkritisch zu beurteilen und vor Angst, als zu langsam (intern) oder zu teuer (extern) zu gelten, eher weniger Stunden aufschreiben als gearbeitet; hier fehlen dann oft 1-2 Stunden am Tag.  Auch die Erkenntnisse der Gedächtnisforschung, wonach nach 24 h weniger als 30 % erinnert wird, werden nicht ausreichend berücksichtigt. Anwälte rekonstruieren oftmals im Nachhinein anhand Outlook etc. ihre Zeiteinträge mit entsprechend großen Gedächtnislücken; hier wird viel eher geraten und pauschalisiert, als korrekt gearbeitet.

Denn in der Regel gibt es keine Vorgaben, so als wäre es den Partnern egal, wieviel die Mitarbeiter arbeiten. Ein Soll von 6 Stunden erscheint dabei durchaus angemessen und angesichts der langen Arbeitszeiten auch nicht zu viel (bei Vollzeit). Die verpönte Vorgabe angelsächsischer Kanzleien von 8 oder mehr Stunden wird dann gerne als Argument dafür hergenommen, es sei “unethisch”, soviel Stunden zu verlangen und grenze an Betrug. Auf das Gegenteil, also die fehlende Vorgabe und Kontrolle als Selbstbetrug zu definieren, kommen die wenigsten.

Der Abrechnungsprozess ist ebenso ungesteuert. Und das Herausstreichen von Zeiten oder nachträglich “Rabattierung” führt zu einer Reduktion von 5 % und mehr der Rechnungssumme, und damit des Gewinnanteils. Dies wieder hereinzuholen, bedeutet sehr viel Mehrstunden leisten zu müssen. In kleineren Kanzleien überlässt man jungen Anwälten auch die Abrechnung, womit sie meist gänzlich überfordert sind, und wo noch einmal viel Geld verloren geht. Associates sind in vielen kleineren und mittleren Kanzleien daher kaum profitabel.

Die Nachverfolgung der Rechnungen wird den Partnern oftmals ebenfalls überlassen, durch Vorlage von Liste der offenen Posten. Die wenigsten Partner haben Zeit im Alltag dafür. So werden nur kritische Honorare angemahnt. Diesen Prozess als Regelprozess durch die Buchhaltung erledigen lassen, sträuben sich viele deutsche Anwälte, so als sei es “unfein”. Mandanten erleben ein schlechtes Mahnwesen eher als Indiz für schlechte juristische Qualität.

Die Beobachtung dieses an sich banalen Prozesses ist leider nicht einfach: so hat nur eine Kanzlei-Software im deutschen Markt überhaupt ein entsprechend aussagekräftiges Reporting im Angebot, Kanzleien mit einer der über 30 anderen Softwareanbietern sind weitgehend im Blindflug unterwegs, wenn sie kein eigenes Controlling aufgebaut haben. Wichtige Kennzahlen zu kennen, bedeutet nicht, nur über Zahlen führen zu müssen.

Die Folge: Kanzleien realisieren oftmals nur einen Bruchteil des Umsatzes (im hier gewählten Beispiel 61 %,), und entsprechender Gewinne (ca. 6,6 Mio €, bei einer Kostenquote von 55 %), was möglich wäre (hier: 13,4 Mio €, also eine Verdoppelung). Damit könnten sie auch mehr die Gehälter zahlen oder für sonstige notwendige Investitionen sorgen. Sie könnten den Nachwuchs halten und die eigene Zukunftsfähigkeit verbessern. In von uns beratenden Kanzleien liegt der Fehlbetrag auch schon mal bei dem doppelten bis dreifachen des bisherigen Gewinnes.

Dieses oft beobachtbare Problem ist eines der ganzen Partnerschaft; die zum Management gewählten Partner stehen oftmals genauso hilflos wie staunend davor und wissen nicht, wie sie das ändern können. Auch die Vernachlässigung des Business Developments ist ein Problem, da nicht genug neue Mandate hereinkommen, um die alten Mandatsbeziehungen loszulassen. Hier genauso wie bei dem Management der Wertschöpfung zeigt sich, ob es eine wirklich relevante Verwaltung der Kanzlei gibt (PS: ESG (Environmental Social Governance), Legal Tech etc. sind demgegenüber für das Gros der Kanzleien vernachlässigbar). Natürlich kann man das anders angehen: dazu bedarf es allerdings meist mehr als nur “Tipps”, sondern einen kulturellen Veränderungsprozess, der alle mitnimmt, die Befürchtungen adressiert und die Kanzlei als Ganzes optimiert.

Denn woran liegt das? Könnte es sein, dass es den einzelnen Partnern überlassen bleibt, ob sie sich darum kümmern oder nicht? Könnte es sein, dass Anwälte hier etwas verwechseln? Denn sie reklamieren gerne, dass die „Freiheit des Anwaltsberufs“ (auch) die Abwesenheit von Management bedeute, obwohl die Freiheit der Advokatur gegen staatliche Eingriffe postuliert wurde; Geld verdienen durften und mussten Anwälte schon immer selbst. Die Nicht-Realisierung wirtschaftlicher Potenziale fällt eigentlich nicht unter „Freiheit“.



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