Wie wir verpassten, ein Einhorn zu bauen: Erfahrungen mit einem Hackathon

Eine Innovation zu einem erfolgreichen Durchbruch zu verhelfen, braucht viele kleine Schritte. Die Idee ist nur einer davon. In diesem Artikel schildere ich meine Erfahrungen, die ich mit der Teilnahme an einem Hackathon machte, wie sich ein Team bildete, wir die Idee weiterentwickelten, um schließlich zu erkennen, dass sehr viel zusammenkommen muss, um ein Startup auf die Beine zu stellen. Zugleich stellen wiri unsere unternehmerische Idee der Allgemeinheit zur Verfügung – denn wir waren am Ende nicht fähig, diese umzusetzen, mehr aus individuellen Themen heraus.

Als ich zu meinem ersten Hackathon im September 2018 in Zürich fuhr, wollte ich wissen, wie dieser funktioniert, wer dabei ist und wo der Nutzen für Kanzleien sein wird, nachdem seit einigen Jahren in der Branche darüber gesprochen wurde, aber keine einzige der Kanzleien, die ich betreue, sich damit ernsthaft beschäftigte. Darunter sind viele führende deutsche, Schweizer und österreichische, aber auch skandinavische Kanzleien sowie sonstige in Kontinentaleuropa, aber auch mittelgroße Partnerschaften, Patentanwälte und Wirtschaftsprüfer.

LinkedIn und andere Medien zeichneten das Bild einer Branche im Umbruch, aber die Beispiele erfolgreicher Innovationen waren (und sind) immer noch rar, auch wenn sie immer mehr Anwälte und Kanzleien zumindest einmal damit beschäftigen. Alle mir bekannten Legal Tech Berater berichten mir, dass es kaum ernsthafte Projekte in Kanzleien gibt, auch wenn man in vielen Kanzleien mal auf einer Partnerversammlung eingeladen wird, um darüber zu referieren. Es gibt große Kanzleien, die sehr viel Software angeschafft haben, etwa eine  KIRA Maschine im Serverraum stehen, aber die eigene Datenmenge ist zu gering, um sie damit zu füttern. Andere haben hunderte von Vorlagen in SharePoint Lösungen eingespeist, aber weder die Anwälte nutzen sie, noch gibt es Nachfrage dafür. Mein Eindruck: bisher nutzen viele Anwälte und Kanzleien das Thema, um als „modern“ zu gelten, und vor allem, um im Rekrutierung Markt mit dabei zu sein, so wie es vor ein paar Jahren „in“ war, eine interne Akademie aufzubauen, auch wenn der Schritt zu ernsthafter Personalentwicklung nie gegangen wurde. Das Tehma verlangt nach viel ernsthafterem Change-Management, als einfach eine Softare anschaffen. Damit tun sich viele Kanzleien noch schwer.

Der Hackathon war als Workshop für 2 Tage angelegt, mit anschließender Konferenz. Wir wurden schnell in Kleingruppen eingeteilt, die sich um die Themen herum gruppierten, die einzelne Teilnehmer nach einem entspr. Brainstorming-Prozess hatten vorgeschlagen. Die Aufgabe war die, Idee zu prüfen und weiterzuentwickeln und vielleicht auch schon eine erste Programmierung zu schaffen, die einen Weg aufzeigt, wie die Idee in die Tat umgesetzt werden könnte. Einige schafften tatsächlich etwas zu „coden“, aber natürlich ging es dabei nur um sehr spezifische Prozessverbesserungen.  Große unternehmerische Ideen können bei so einem Prozess nicht herauskommen, wie mir scheint, dazu besteht ein zu großer Druck, und die „Innovation“ muss sich notwendigerweise auf einzelne Aspekte der Arbeit von oder in Kanzleien beschränken. Aber mit vielen kleinen Schritten lässt sich natürlich auch schon etwas verbessern. Da vor allem viele junge Leute sich registriert hatten, wurden auch vor allem Ideen aus deren Lebenswelt angegangen.

Unsere Kleingruppe bestand nur aus Juristen: neben mir als Senior, Rechtsanwalt und Kanzleiberater seit 20 Jahren, waren

–          Paul, ein rumänischer Anwalt mit 14 Jahren Erfahrung und erster Erfahrung mit der Begleitung eines Startups in seinem Markt,

–          Thomas, ein junger Jurist, der in der Schweiz ausgebildet würde

–          Nathan, ein englischer Jurist, der in Maastricht seinen Abschluss gemacht hatte und vor dem Eintritt in das Berufsleben stand

–          Und Philip Kaufold, ein Teilnehmer, der sich dann aber bald für andere Ideen begeisterte.

Einzelne weitere interessierten sich für das Projekt, blieben aber letztlich in anderen Gruppen hängen.

Wir hatten uns um die Frage versammelt, wie sich denn wohl die neue DGSVO Richtlinie der EU auswirken würde, die seit dem 25. Mai 2018 galt. Wir fragten uns, ob die Datensicherheit nicht nur ein rechtliches, sondern vor allem ein gesellschaftliches Problem ist, welches auch ein großes wirtschaftliches Potential bietet. Wir sahen den Einzelnen als schutzwürdig, und meinten, dass er das „Gold“ seiner eigenen Daten selbst „schürfen“ können sollte, oder aber, wenn das nicht möglich war, er zumindest an den Erträgen beteiligt werden müsste. Auch sollte er effektiv das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (sog. Volkszählungsurteil, BVerfG, Urteil v. 15. Dezember 1983) durchsetzen können, also die Löschung von Daten tatsächlich verlangen könnten, und wenn nicht, dann müsst es Schadensersatz geben. Firmen wir Facebook können die Daten einzelner Nutzer technisch gar nicht mehr löschen, wie es scheint, auch wenn die Funktionalität dieser App das suggeriert. Umso besser, dachten wir, dann sind Schadensersatzforderungen ja einfach.

wir sahen, dass mit § 82 (1)  DGSVO auch ein Schadensersatz zugesprochen werden könnte, also die Monetarisierung möglich scheint. Natürlich ist noch nicht klar, wie das von den Gerichten genau interpretiert wird, aber wir gingen davon aus, dass es irgendwann im Prozess so wie bei den Richtlinien zur Entschädigung bei Flugverspätungen etc. zu einer Monetarisierung kommen könnte. Verbraucherrechte werden durch die EU gestärkt, also ist es nur eine Zeit, bis es auch die Datennutzung betrifft. Erste Entscheidungen, etwades EuGH im Falle von Schrems[i] , lagen vor, Urteile niederer Gerichte ergingen etwa in Deutschland und Österreich mit Beträgen um 500 EURO im Einzelfall, was ja auch keine kleinen Summen sind.

Wir dachten also eher über ein Startup nach als über eine technische Innovation und entwickelten diese Logik und stellten unsere Idee am Ende des Hackathons im Wettbewerb mit anderen Ideen vor. Überraschenderweise gewannen wir den 3. Platz, mit 1000 CHF belohnt. Das war eine Überraschung, und motivierte uns, die Diskussion auch nach Abschluss des Workshops fortzusetzen.

Wir trafen uns erneut in folgendem Frühjahr, in Cluj, Rumänien, auf Einladung von Paul. Wir diskutierten die möglichen Anwendungen, den Business Case und wie wir die Idee weiter entwickeln müssten. Wir stellten fest, dass wir alle wenig Zeit hätten, aber meinten, dass es mit regelmäßigem Call auch ginge. So arbeiteten wir an der Idee weiter, das ganze Jahr 2019 und 2020 hinüber, wegen der Corona-Beschränkungen dann nur noch in Video-Sessions. Die ständig neu hinzukommenden Urteile in Sachen GDPR zeigten uns das Potential auf. Immer mehr Gerichte in immer weiteren Jurisdiktionen befanden Verstöße gegen GDPR als schadensersatzpflichtig, sei es von einzelnem Kläger gegen Unternehmen, sei es bei groben Verstößen von Unternehmen, die sich gegen die Bußgelder auflehnten. Die Voraussage ist einfach: hier entsteht gerade ein neues Geschäftsfeld für Anwälte, und die Monetarisierung des Datenschutzes hat gerade begonnen.

Die Wettbewerbsanalyse zeigte uns, dass es bereits andere gab, die die Idee verfolgt hatten. Ein ungarischer Startup „Revalu“, mit dem Fokus auf Einzelne wie auf Unternehmen, welches aber im Oktobe 2019 die Aktivitäten einstellte. Die meisten Anbieter wollten „Unternehmen“ schützen, wir dagegen den Einzelnen. Fast täglich gab es mehr und mehr Urteile, die uns bestätigten. Wir fanden dann die App „Jumbo“[ii], eine US-amerikanisches Startup um den erfolgreichen Gründer Pierre Valade, einem erfolgreichen App Developer, der seine Appentwicklung „Sunrise“ an Microsoft verkauft hatte. Der Wettbewerb war also nicht zu unterschätzen. Diese Datenschutz-App war schon recht weit entwickelt und deckte fast alle Themen ab, die wir als relevant ansahen, inklusive Datenbreach-Hinweisen, etc. Die Monetarisierung erfolgte nicht, sondern es beruht auf einem Abo Modell. Aber die Idee war gut umgesetzt, auch wenn der Name der App wenig mit dem Thema zu tun hat.

Wir entwickelten unsere Idee weiter, erweiterten sie, reduzierten sie, und dachten gleichzeitig über die Frage nach, wie wir das vermarkten könnten. Erste Homepage und App Entwürfe wurden herumgereicht, basierend auf Ideen rumänischer Entwickelter, die für wenig Geld eingesetzt werden konnten. Und doch merkten wir zunehmend, dass unsere zeitlichen Ressourcen nicht ausreichten. Auch nachdem sich einer von uns bereit erklärte, seine Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Aufmerksamkeit auf die Weiterentwicklung der Idee zu verwenden, realisierten wir, dass es immer enger wurde. Auch der Wettbewerb änderte sich laufend, und die Marktstudien, die wir machten, zeigten uns, wie schnell wir hätten sein müssen. Schon im Oktober 2018 hätten wir starten müssen, um eine Chance zu haben.

So wurde uns zunehmend klar, dass wir als Team nicht die Ressourcen haben, um die Idee weiter zu verfolgen Wir beendeten das Projekt im März 2021, mehr als 2,5 Jahre nach dem Start.  Unser Fazit: „Nebenbei“ ein Startup aufzubauen, ist sehr schwierig. Gute Ideen zu haben ist nicht so sehr das Problem, sondern deren Realisierung: man muss den ersten Schritt möglichst früh und auch mal mit einer unausgereiften Idee machen, man muss ein Team zusmmen haben, dass konzentriert und freigestellt von anderen Aufgaben an dem Businessplan und dann der Realisierung arbeitet.

Picture: hackathon Team in Zurich, september 2018: Thomas Kuster, Philip Kaufold, the author, Paul Vargan, Nathan Vandy.

[i] Urteil des EuGH C-362/14 – Schrems https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-362/14
[ii] https://www.theverge.com/2019/4/9/18300775/jumbo-privacy-app-twitter-facebook

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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