Die schwierige Position der Rechtsabteilung bei „Defeat Devices“

von Dr. Wolf Peter Groß
Am 1.1.2016 trat das „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung“ in Kraft. Durch die Regelungen in §§ 46ff. BRAO n.F. wird die Stellung angestellter Rechtsanwälte z.B. in Unternehmen oder Verbänden gesetzlich festgeschrieben.

Das Gesetz stellt klar, dass auch die Tätigkeit von Syndikusrechtsanwälten in Unternehmen bzw. in Verbänden Teil des einheitlichen Berufsbildes des Rechtsanwalts ist.

Regulatorisches Leitbild des anwaltlichen Berufsrechts war bislang der freiberuflich tätige Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege.  Als solches übt der Anwalt im freiheitlichen Rechtsstaat neben Richtern und Staatsanwälten eine eigenständige Funktion in der Stärkung des Rechts aus. Das grundlegende Verständnis des Berufsbildes umreißt § 43 BRAO wie eine General. Danach hat der Anwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, die die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.

Als Organ der Rechtspflege haben auch die Syndikusrechtsanwälte durch Mitwirkung an der Rechtsprechung und eine konflikt- sowie prozessvermeidende Beratung der Verwirklichung und Vollziehung des Rechts zu dienen. Als beauftragter Berater und Vertreter der Rechtsuchenden hat er die Aufgabe, zum Finden einer sachgerechten Entscheidung beizutragen, das Gericht – und ebenso Staatsanwaltschaft oder Behörden – vor Fehlentscheidungen zu Lasten seines Mandanten zu bewahren und insbesondere die rechtsunkundige Partei vor der Gefahr des Rechtsverlustes zu schützen (Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 7. Auflage, 2015, § 1 Rdnr. 3). Diese Ausgestaltung des Begriffs „Organ der Rechtspfleg“ bedeutet, dass die Verantwortung der Syndikusrechtsanwälte über das Unternehmen, bei dem sie angestellt sind, hinausgeht. Sie dienen auch dem Rechtstaat und haben damit eine Vorbildfunktion für alle diejenigen Entscheider oder Funktionsträger im Unternehmen, deren operatives oder administrativen Tun rechtlich determiniert ist. Sie sind praktisch Botschafter eines Verhaltenskodex, der Einfluss auf die Ausgestaltung von Handels- und Vertragsbeziehungen nimmt und damit einen Beitrag zur Stärkung des Rechts leistet. Diese Anforderung stellt eine besondere Anforderung an die persönliche und tatsächliche Unabhängigkeit der Syndikusrechtsanwälte als eines der Kernmerkmale des anwaltlichen Berufsbildes. Mandant der Syndikusrechtsanwälte ist das Unternehmen, die Anstellungsorganisation, in der sie tätig sind. Mandanten sind nicht die Organe des Unternehmens, Vorstände, Geschäftsführer oder Aufsichtsgremien. Hier liegt ein potenzieller Interessenkonflikt, da die Interessen der Organe nicht notwendig deckungsgleich mit denen der Gesamtorganisation sind. Das Berufsbild der Syndikusrechtsanwälte gestaltet demnach auch die Funktion Recht im Unternehmen mit einer Sonderrolle aus, die in ihrer Verantwortung für die Rechtsordnung gründet. Nota Bene kommt es dem Unternehmen langfristig zugute, wenn die Grundsätze der Rule of Law nach innen und außen gelebt werden.

Das öffentliche Recht ist dabei ein wichtiger Rahmen für das Management, genauso wie es Wettbewerb, Wirtschaftlichkeit und Ressourcen sind. Die Rechtsabteilung muss diesen Rahmen in die Entscheidungsprozesse einspielen, genauso wie die Strategieabteilungen den Vorstand auf relevante Änderungen im Wettbewerb, die Finanzabteilung die wirtschaftliche Entwicklung und die Produktionsabteilung die Veränderung der Ressourcen bekannt machen muss und Entscheidungen abfordern muss, um das Unternehmen „am Laufen zu halten“.  Die fehlende Akzeptanz dieses Rahmens, der Versuch, diesen Rahmen zugunsten der Handlungsmöglichkeiten der Unternehmung auszuweiten (etwa durch Lobbyismus) und das Verhalten der Wettbewerber, die diese Grenzen (ebenfalls, und damit wettbewerbsverzerrend) auszunutzen versuchen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es letztlich die Rechtsabteilung ist, die den Sinn und Zweck des Gesetzes teleologisch (also methodisch sauber) zu bestimmen hat. Es gibt keine Entschuldigung für die Rechtsabteilung, wenn sie dies nicht nachhaltig in die Entscheidungsprozesse einbringt, sondern duldend hinnimmt, dass alle es „hinnehmen. Lediglich die Tatsache, dass die Rechtsabteilung genauso „blind“ gegenüber diesen ja oft schleichenden Prozessen der Wahrnehmungsveränderung ist wie der Rest der Unternehmung ist eine „Entschuldigung“, die aus dem Blick der Systemtheorie (wohl aber nicht des Rechts) geltend gemacht werden kann (siehe auch. Wolf Peter Gross, in Betriebs-Berater // BB 36.2010 // 30.8.2010). Die viel formalere Sichtweise des US-amerikanischen Rechts prallt damit der eher konsensualen, weniger konfliktbereiten Sichtweise europäischer Juristen aufeinander.

Dieses Schema des „Wegguckens“ oder Ignorierens von rechtlich relevantem Rahmen in Europa wird gerade im Unterschied (und deren aktives Aufdecken) der US-Amerikanischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit deutlich: und die im Wege der Discovery aufgedeckten Versuche des Vertuschens wirken dann umso demaskierender.

Hier müssen die Rechtsabteilungen in Europa sich grundsätzlich neu orientieren, wenn sie nicht auf lange Sicht obsolet werden sollen und nur noch als Unterabteilung der Compliance oder Risk Management Abteilung funktionieren wollen:   Recht bleibt Recht, und die Grenze muss schärfer gezogen werden. Das bedeutet auch, die oberen Entscheidungsebenen in den Unternehmen immer wieder auf die relevanten Rahmen des Rechts als Begrenzungen unternehmerischen Handelns aufmerksam zu machen. Oder, wie wir in unseren Formularsammlung für Rechtsabteilungen (s.u.) darlegen: nur eine ethisch und rechtlich anspruchsvolle Unternehmungsführung kann auf Dauer die Wertschöpfung verbessern



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