- 9. September 2019
- Veröffentlicht durch: Christoph H. Vaagt
- Kategorie: Klartext
Wettbewerb verbessert das Geschäft sagt man: Zwei Bücher zum Thema Legal Tech.
Gleich zwei Bücher sind im C. H. Beck-Verlage erschienen: Das „Rechtshandbuch Legal Tech“ von Stefan Breidenbach/Florian Glatz und das einfacherweise nur „Legal Tech“ genannte Buch von Harting/Bues/Halbleib.
Zwei Bücher zum gleichen Thema herauszugeben, ist zumindest mutig für einen Verlag, welcher die Erfahrung gemacht hat, dass im Bereich Kanzleimanagement die Verkaufszahlen entgegen der Vermutung eher drei- als vierstellig sind. Das Thema „Legal Tech“ wird zwar seit 2015 mit einer Vielzahl Veranstaltungen beworben, aber es überrascht dennoch.
Der Ansatz des Buches von Hartung/Blues/Halbleib ist es, einen Markt-Überblick aus verschiedenen Perspektiven zu geben. Dazu sind 256 Seiten des Buches hergenommen, der Rest (36 Seiten, mit einigen Ausnahmen auch unter den ersten 256 Seiten) beschreiben Technologien. Neben Anbietern von Lösungen kommen auch Journalisten, Professoren, Innovatoren, C-Levels, Anwälte in verschiedenen Kanzleigrößen zu Worte, die selber Erfahrungen damit gemacht haben, sei es als Hauptbeschäftigung, als zweites Standbein oder zur Absicherung ihrer Tätigkeit, in einem Fall sogar als Überlebenstaktik. Anwendungsbeispiele aus Großkanzleien und Rechtsabteilungen kommen vor und dabei wird deutlich, dass die technischen Lösungen im Bereich Recht vor allem unterstützende Aufgaben für die Anwälte ausführen, vor allem, um viele Informationen schneller verarbeiten und der Bewertung durch Juristen zugänglich zu machen.
Anders gingen die Autoren um Stefan Breidenbach heran. Er selber ist mit seinem Unternehmen Knowledge Tools ein Legal Techie der ersten Stunde. Aber auch dieses Unternehmen ist noch weit von einem „Einhorn“ genannten Startup mit Milliarden USD Bewertung entfernt; wir Deutschen lieben es, zu erfinden, die Marktchancen und Potenzialrealisierung ist uns meist egal. Bei einem Rechtsmarkt von gerade einmal 20 Mrd. € gegenüber den USA mit 300 MRD USD ist es natürlich auch schwieriger, so erfolgreich zu sein.
Der Ansatz von Breidenbach/Glatz ist von einer wissenschaftlichen Gliederung und Durchdringung des Stoffes geprägt. Nach den nur ca. 45 Seiten, die für den Marktüberblick hergenommen wurden, werden auf dem weiteren 228 Seiten die zugrunde liegenden Technologien so gut beschreiben, dass sogar der Laie dies versteht (hilfreich ist es allerdings, wenn er Jurist ist). Die restlichen 17 Seiten werden dann dem Ausblick gewidmet.
Ausgehend von abgesicherten Definitionen wird der Markt dargestellt und zugrunde liegenden Technologien sowie deren weitere Entwicklung inklusive der Problematik der Abbildung juristischer Texte reflektiert. Was bei Harting/Bues/Halbleib erst auf S. 287 erscheint, ist bei Breidenbach/Glatz schon auf S.59 relevant: die grundlegende Blockchain-Technologie, die als Game-Changer beschrieben und gewürdigt wird. Die Autoren bei Breidenbach/Glatz setzen sich konkret mit der Gegenwart und Zukunft aller möglichen genutzten Technologien auseinander und helfen dem Uneingeweihten, diese zu verstehen. Der Wert des Buches besteht sowohl in seiner gedanklichen Klarheit als auch der sprachlichen Exaktheit. Nur selten wird etwa der Begriff Legal Tech als Sammelbegriff genutzt, sondern die einzelnen Technologien werden vorgestellt und hinsichtlich der ihr innenwohnenden Logik auf Möglichkeiten und Grenzen hin untersucht. Dies ermöglicht tiefgründiges Verstehen inklusive der Aneignung des relevanten Wortschatzes. Allerdings ist man als Nicht-Spezialist auch schnell überfordert.
Das Buch wird ein „longseller“ sein, da die Definitionen auch in 5 Jahren noch relevant sind. Dem gegenüber ist Harting/Bues/Halbleib wohl eher ein Short-seller, auf der Welle des Legal Tech Hypes reitend. Das letztere freut den Verlag, das erstere den Leser, der in beiden Fällen 99 EURO ausgeben musste.
Die Bücher haben beide etwa 38 respektive 25 Autoren, auf 308 respektive 280 Seiten. Sind die Autoren bei Harting/Bues/Halbleib 28 Anwälte (zumindest dem Titel nach), davon 4 aus Rechtsabteilungen, sind es bei Breidenbach 6 Professoren und nur 9 Anwälte sowie 8 Unternehmer in diesem Markt. Es dominieren bei Harting/Bues/Halbleib die Marktbeobachter, Journalisten, anwendende Anwälte, Produktanbieter. Allein daraus lässt sich der Fokus der beiden Werke ablesen. Harting/Bues/Halbleib-Leser bekommen Marktüberblickswissen und Markteinblick. Alles interessant und man ist für den nächsten Smalltalk gewappnet. Auch für die Vorbereitung eines Vortrages vor Sozien einer Kanzlei, die keinerlei Vorbefassung haben mit dem Thema, reicht es vollkommen. Breidenbach/Glatz baut gewissermaßen auf Harting/Bues/Halbleib auf: der Marktüberblick ist sehr knapp, dafür umso mehr Informationen über die Technologie, wie sie funktioniert und wie deren Anwendung im Bereich Recht abläuft respektive voraussichtlich genutzt werden wird.
So ist dem noch nicht Eingeweihten zu raten, beide Bücher zu kaufen, zunächst „Legal Tech“, dann das „Rechtshandbuch Legal Tech“ zu lesen. Dann ist er umfassend informiert und kann sich entscheiden, ob er (oder sie) Anwalt bleiben (und an der Kernkompetenz des juristischen Bewertens und seiner Fähigkeit zu beraten, arbeiten will) oder die Möglichkeiten der Digitalisierung (stärker als bisher) nutzen oder gar zum Software-Unternehmer mutieren will; je nach Radikalität der Zukunftsprognosen gibt es alle drei Möglichkeiten oder nur noch die letzteren.